Das Haus aus Backstein war heruntergekommen und baufällig, wie er es in Erinnerung hatte. Schon vor dem Großen Beben aus Backsteinen erbaut lehnte es sich träge an das Nachbargebäude und wäre ohne dieses wohl eingestürzt. Die Fensterläden hingen, wenn sie überhaupt noch existierten, schief in ihren Aufhängungen. Aus den Fenstern hing die Wäsche aus Lumpen, die Fensteröffnungen selbst waren mit Tüchern abgehangen, um die Kälte draußen zu halten. Einige Stellen ließen noch erahnen, dass das Gebäude zu längst vergangenen Zeiten verputzt gewesen war. Das dunkle Loch des Eingangs zog Rhys fast magisch an.
Er presste die Lippen zusammen. Just in dem Augenblick entleerte ein Orkendorfer aus dem Haus über ihm die nächtliche Notdurft auf die Straße – und auf Rhys, der genau in der übelriechenden und ekligen Dusche stand. Angewiedert schüttelte er sich und verfluchte seine aktuelle Situation. Er streifte die letzten Reste menschlicher Ausscheidungen von seiner Schulter und rieb sich seine Hände an der nassen Hose ab. Sein Blick fiel ein weiteres Mal auf den Eingang des Hauses gegenüber. Und bevor noch Jemand seinen Nachttopf auf der Straßen entleeren konnte überquerte er schnellen Schrittes die Straße und trat – durch eine nur noch notdürftig mit Brettern zusammen gehaltene Türe – in das Haus ein.
Die Wände starrten vor Schmutz und Schimmel. Überall war die klamme Feuchtigkeit sichtbar, während er die Treppe hinauf stieg. Auf jedem Treppenabsatz mehrere Türen, die in kleine Räume führten, in denen oft sogar eine ganze Familie mit mehreren Kindern auf engstem Raum lebt. Den Stiegen folgte er bis zum Treppenabsatz unter dem Dach. Auf dem Podest hatte sich eine Pfütze gebildet und durch die Dachschindeln konnte man den immer heller werdenden Himmel erkennen. Es war eines der üblichen Wohnhäuser in Orkendorf. Löcher, in denen Menschen hausten, die das Glück hatten die Nächte nicht in Hauseingängen, unter Torbögen oder unter einem notdürftigen Dach aus einem Stück Stoff verbringen zu müssen.
Rhys blickte auf eine der Türen, die vom höchsten Podest der Treppe abgingen. Die Spuren der Zeit waren auch an ihr nicht vorüber gegangen und an den Rändern begann das Holz unter einer dünnen Schicht von Schimmel zu verfaulen. Kurz zögerte er, bevor er sich ein Herz nahm und auf die Tür zutrat. Nach einem kurzen Druck auf den Knauf sprang sie auf, denn das Schloß war schon längst ein Raub des Rostes geworden. Modriger, abgestandener Geruch wehte Rhys entgegenen, während die Flamme einer Kerze neben dem Bett zu flackern begann. Eine alte Frau setzte sich langsam im Bett auf und ihr Kopf ruckte zur Tür hinüber.
Sie kniff ihre Augen zusammen und ihre keifende Stimme fuhr durch den Raum. „Kannste nich‘ anklopfen?“ Die Alte zuckte mit den Schultern. „Was solls, bin eh‘ noch wach.“ Sie trampelte ihre wollene Decke zum Fußende des Bettes. „Kannst schon mal das Kupfer auf den Tisch legen.“ Die Metze schwang ihre Beine aus dem Bett und stelle sich hin. „Mach‘ schon, ich hab‘ nicht den ganzen Tag Zeit.“ Während Rhys noch in der Tür verharrte und entgeistert die Alte anstarrte, zog sie ihren dreckigen Rock bis zur Hüfte hinauf. „Zieh schon Deine Hose aus und komm‘.“ Sie legte sich mit dem Oberkörper zurück aufs Bett und zeigte dem Mann ihre entblößte Scham. „Hier, sie gehört jetzt nur Dir.“
Angewiedert verzog Rhys das Gesicht und drehte sich auf der Ferse um. Wortlos stürmte er die Treppe hinunter, während die keifende, verärgerte Stimme der alten Metze ihn verfolgte. Erst als er aus dem Haus auf die Straße getreten war hielt er inne. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen die Wand und atmete tief durch. Er weiß selbst nicht, wieso er dieses Dachzimmer aufgesucht hatte. Was ihn geritten hatten zu dieser Frau zu gehen. Zur Metze Igraine, die ihn einst geboren hatte.
Schreibe einen Kommentar